Kaum jemand schenkt der Speichelflüssigkeit im Mund besondere Beachtung – bis sie plötzlich fehlt. Dabei stellt unser Körper Tag für Tag rund ein bis anderthalb Liter her, und jeder Tropfen erfüllt gleich mehrere Aufgaben. Zunächst wirkt Speichel wie ein eingebauter Hochdruckreiniger: Nach jedem Bissen schwemmen die wässrigen Bestandteile Essensreste und Bakterien aus den Zahnzwischenräumen, bevor überhaupt eine dicke Plaqueschicht entstehen kann. Gleichzeitig legt das im Speichel enthaltene Muzin einen hauchfeinen Gleitfilm über Zunge, Wangen und Zähne. Dieses „Gleitgel“ verhindert, dass die Mundschleimhaut wundscheuert, sorgt für klar verständliche Aussprache und lässt jeden Bissen nahezu reibungslos in Richtung Speiseröhre gleiten.
Mindestens ebenso wichtig ist die chemische Schutzfunktion. Säuren aus Cola, Wein oder Zitrusfrüchten drücken den pH-Wert im Mund gerne in den kritischen Bereich, in dem Zahnschmelz langsam erodiert. Hier springen die Pufferstoffe des Speichels – vor allem Hydrogencarbonat und Phosphate – ein und neutralisieren die Säure im Handumdrehen. Sinkt der pH trotzdem kurzzeitig ab, liefert der Speichel Kalzium- und Phosphationen, die sich in den angegriffenen Schmelz einlagern und die Oberfläche quasi von selbst reparieren. Fachleute sprechen von Remineralisation; für uns bedeutet es, dass jeder Zahn minütlich ein kleines Auffrischungsprogramm durchläuft.
Damit nicht genug: Speichel ist die erste Verteidigungslinie unseres Immunsystems im Mundraum. Lysozym löchert Bakterienzellwände, Lactoferrin entzieht Mikroben das lebenswichtige Eisen, sekretorisches IgA blockiert das Anheften von Krankheitserregern an die Schleimhaut. Fehlt dieser Abwehrcocktail, nehmen Karies, Zahnfleischentzündungen und Pilzinfektionen rapide zu – eine Erfahrung, die viele Patientinnen und Patienten nach strahlentherapeutischen Behandlungen machen, wenn die Speicheldrüsen in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Auch die Sinne profitieren: Erst wenn Geschmacksstoffe in der wässrigen Phase gelöst sind, erreichen sie die Geschmacksknospen, und Enzyme wie α-Amylase starten bereits im Mund mit dem Vorverdauen von Stärke. Selbst winzige Schleimhautverletzungen verheilen schneller, weil Wachstumsfaktoren im Speichel – zum Beispiel EGF – die Zellteilung ankurbeln. Parallel entdecken Forschende den Speichel als diagnostisches Medium: Blutzucker, Stresshormone, sogar Virus-RNA lassen sich inzwischen aus einem simplen Speichelabstrich bestimmen – ganz ohne Nadelstich.
Läuft die Speichelproduktion jedoch auf Sparflamme, werden die Folgen schnell spürbar. Ein trockener Mund fühlt sich an, als hielte man Watte im Mund, das Schmecken fällt schwer, und frisch geputzte Zähne fühlen sich schon nach kurzer Zeit pelzig an. Medikamente wie Antidepressiva oder Betablocker, Kaffee und Alkohol, Rauchen, aber auch das Sjögren-Syndrom können eine solche Xerostomie auslösen. Dann steigt das Risiko für Karies explosionsartig, die Zunge brennt, und Mundgeruch macht sich breit.
Zum Glück lässt sich die Speichelmenge meist durch einfache Alltagstricks ankurbeln. Wer über den Tag verteilt anderthalb bis zwei Liter Wasser trinkt, liefert den Drüsen genügend Flüssigkeit. Zuckerfreier Kaugummi – idealerweise mit Xylit – stimuliert den Speichelfluss durch die Kaubewegung. Alkohol und exzessiver Koffeinkonsum sollten dagegen in Grenzen bleiben, weil sie entwässernd wirken. In trockenen Schlafzimmern hilft ein Luftbefeuchter gegen das morgendliche „Kaktus-Mund-Gefühl“, und bei langfristiger Medikamenteneinnahme lohnt sich ein Gespräch mit Haus- oder Zahnarzt, ob sich eine alternative Dosierung anbietet. Nicht zuletzt bewahrt eine regelmäßige professionelle Zahnreinigung die Oberflächen, die der Speichel anschließend pflegen soll.
Unterm Strich ist Speichel weitaus mehr als „Spucke“. Er putzt, puffert, poliert, schützt, schmeckt, verdaut, heilt – und liefert nebenbei medizinische Daten. Ihn zu unterstützen, ist deshalb wahrscheinlich die simpelste und gleichzeitig effektivste Vorsorgemaßnahme für Zähne, Zahnfleisch und frischen Atem. Beim nächsten Schlucken darf man diesem stillen Helfer also ruhig ein inneres Dankeschön schenken.